Klar, Scheitern kann jeder. Schade ist das aber vor allem, wenn es eigentlich vermeidbar gewesen wäre – beispielsweise aufgrund einer mangelhaften Finanzierung. In diese Falle tappen weniger Kanzlei-Käufer als Gründer. Denn häufig unterschätzen sie den tatsächlichen finanziellen Aufwand und stufen die Kosten für den persönlichen Lebensunterhalt zu niedrig ein.
Der eigene Chef sein, den persönlichen Stundensatz bestimmen – die Selbstständigkeit klingt für viele äußerst verlockend. Leider ist das aber auch nicht jedermanns Sache. Motivation alleine ist nicht das Patent für eine erfolgreiche Kanzlei. Disziplin und Frustrations-Toleranz sind weiterer Attribute, die Gründer unbedingt mitbringen sollten. Zudem ist es ein gehöriger Unterschied, ob ich „nur“ mein eigener Chef bin oder plötzlich Mitarbeiter führe. Hinzu kommt ein gewisses benötigtes Maß an vertrieblichem Geschick: Denn die eigene Leistung muss aktiv verkauft werden. Wer sich bei der unternehmerischen Eignung fehleinschätzt, landet ganz schnell wieder im Angestelltenverhältnis – und der Traum von der eigenen Kanzlei ist ausgeträumt.
Eine Unternehmensgründung verlangt nicht nur dem Gründer einiges ab,
sondern auch seinem Umfeld – vor allem dem familiären. Dieses muss
bereit sein, zu akzeptieren, dass der Selbstständige eine gewisse Zeit
lang nicht mehr im gewohnten Maß zur Verfügung steht. Rückhalt ist also
gefragt. Fehlt dieser oder nimmt die Unterstützung ab, steht das
Unterfangen „eigene Kanzlei“ schnell auf wackeligen Füßen. Im Klartext
bedeutet das: Die Führung einer Kanzlei funktioniert langfristig nur
dann, wenn nicht gleichzeitig private Probleme auftauchen.
Gelegentlich passiert es, dass Gründer – meist ohne professionelle Beratung – eine Kanzlei erwerben, bei der nach Kauf eine Vielzahl von Problemen zu Tage treten. Einiges davon lässt sich im Vorfeld vertraglich ausschließen. Für manches haftet ohnehin der Altinhaber von Gesetzes wegen. Doch es kommt leider auch immer wieder vor, dass die Probleme so gravierend sind, dass das Vorhaben Selbstständigkeit letztlich scheitert.
Anders als bei Rechtsanwälten halten Sozietäten unter Steuerberatern vergleichsweise lang. Eine stabile Partnerschaft ist aber wie in einer echten Ehe keinesfalls selbstverständlich. Häufig übersehen Betroffene, dass sich oft erst im Laufe der Zeit wichtige strategische Fragen ergeben – beispielsweise in puncto persönlicher Arbeitszeitgestaltung. Differenzen können dann schnell zum Zerwürfnis führen. Ein Worst-Case-Szenario, das meist Mandate sowie Mitarbeiter kostet und so gravierend wie kaum ein anderer Management-Fehler ist.
Für Angestellte gehört das zur Normalität: eine Vertretungsreglung im Krankheits- oder Notfall. Aber in der Selbstständigkeit – wer kann hier im Notfall einspringen? Gründer sollten dafür unbedingt eine Lösung finden, ansonsten kann ein etwaiger Ausfall schnell zur existenzbedrohenden Krise führen. In unserem kostenlosen Ratgeber „Planung für den Notfall“ haben wir alles Wichtige, das Sie dazu wissen müssen, zusammengefasst.
Die absolute Sicherheit kann es natürlich auch bei der Kanzlei-Gründung nicht geben – schließlich ist das wie bei einer glücklichen Ehe, im Idealfall hält das „Ja-Wort“ ewig. Ratsam ist es auch hier, sich Tipps von „alten Hasen“ zu holen, die den Schritt in die Selbstständigkeit schon gewagt haben. Netzwerke wie dieses hier helfen Ihnen, sich mit erfahrenen Kollegen auszutauschen.
Alexander Jost
Ist seit 2007 Vorstand der Jost AG. Seit über zehn Jahren begleitet er Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bei der Nachfolgeregelung. Außerdem hält er Vorträge zum Thema und ist Autor des Buches "Notfallplanung für Steuerberater". (www.jost-ag.com)